Morbus Hodgkin

Meine Geschichte

Im August 1997 stellte ich ploetzlich einen ca. 2cm Knoten zwischen Schluesselbein und Hals fest, der praktisch ueber Nacht augetaucht war. Auf Draengen meiner Frau (danke, Gina!) bin ich sofort zum Arzt; er hat die Lymphknoten und die Milz abgetastet, ein paar Fragen gestellt (Nachtschweiss? Ja!), mich zum CT geschickt und drei Tage spaeter sagt er "Morbus Hodgkin". Und wenn er sich einen Krebs aussuchen muesste (so der Arzt), dann waere es Hodenkrebs oder M.H. - die Heilungschancen seien optimal.

OK, im Nachhinein ist man immer schlauer: meine zum Teil sehr starken Rueckenschmerzen, die jeweils nach ein paar Waerme- und Akupunktur-Behandlungen wieder verschwanden, waren mit Sicherheit auf das Lymphom zurueckzufuehren. Aber da ich ja sonst keine Beschwerden hatte, war ich doch schockiert, als ich hoeren musste, dass sich die Krankheit vermutlich schon jahrelang in meinem Koerper ausgebreitet hatte. Aber lieber spaet bemerkt als gar nicht. Manchmal denke ich, wie lange das noch unbemerkt haette weitergehen koennen, wenn nicht "zufaellig" (?) ein Lymphknoten gut sichtbar nach aussen gewachsen waere...

Die Diagnose war klar, eine Therapie moeglich und die Statistik vielversprechend. Ich habe mir sofort gesagt, die Statistik ist mir egal, wenn ich's schaffe, dann sind das 100% fuer mich, also los geht's mit Therapie. Aber bis ich das meiner Frau und meiner Familie beigebracht habe! Die koennen ja nichts machen, nur dastehen und zuschauen, das macht's natuerlich noch schwieriger. Aber ich habe auch daraus Kraft geschoepft, ich war der Starke, sie die Schwachen.

Als die Ergebnisse der Biopsie, des CT und der Knochenmarkpunktion am Beckenknochen vorlagen, hat mir der Onkologe Dr. A. Dieterle (SEHR empfehlenswert!) in Birsfelden die verschiedenen Behandlungsmethoden erklaert und mit mir die beste Strategie besprochen. Ich hatte mich vorher schon eingehend im Internet informiert (links siehe weiter unten) und einen Fragenkatalog zusammengestellt. Er hat mir alles supergut erklaert und ich hatte wirklich den Eindruck, dass wir mit ABVD (mehr Info siehe hier und hier) in meinem Fall (stage IIIB, nodulaere sklerose, im ganzen Oberkoerper von der Leistengegend bis zum Hals "schoen" verteilt, ausser Leber und Knochenmark) am besten vorgehen. Eine Kombination mit Bestrahlung haben wir wegen der langfristig negativen Effekte verworfen. Lieber halt notfalls eine zweite Therapie, als gleich am Anfang das Kind mit dem Bad ausschuetten. Aber was fuer mich richtig war, muss nicht fuer alle stimmen!

Bevor wir mit der Behandlung begannen, habe ich mir die Haare vorsorglich kurz geschnitten und mich noch lange an meiner Haarpracht freuen koennen, bis dann nach ein paar Monaten recht ploetzlich die Haare ausgefallen sind. Nie bis zur totalen Glatze, aber doch merklich reduziert; naja, bei der heutigen Mode kann man sich die Haare ja auf einen Millimeter kuerzen, ohne aufzufallen. Auch liess ich zur Sicherheit noch eine Spermaprobe einfrieren, denn ein Nebeneffekt der ABVD Therapie kann dauerhafte Sterilitaet sein. (update: der befuerchtete Effekt trat nicht ein und ich bin seit dem 21.03.2001 gluecklicher Vater von Nicolas Rogério!)

Die Besuche in Dr. Dieterle's Praxis wurden bald zur Routine. Frau Tarelli und Dr. Dieterle haben eine absolut perfekte "Nadel-Technik" - Blutabnehmen oder Infusion legen war nie ein Problem. Mittlerweile sind meine Venen total kaputt und vernarbt und ich habe Frau Tarelli schon oft vermisst ... z.B. beim Kontrastmittel spritzen im Bethesda Spital, wo sie mich jedesmal totstechen wollen, bevor sie endlich den butterfly an die fette Vene am Handruecken legen.

Das woechentliche "Weisse-Blutkoerperchen-Zaehlen" war immer spannend: reicht es oder nicht? Ich hatte viel Glueck und musste die Therapie nur zweimal um eine Woche verschieben. Einmal mussten wir ein bisschen "schummeln" und Neupogen zu Hilfe nehmen.

Bei der Arbeit habe ich gleich am Anfang meinen Chef informiert und seine Reaktion war sensationell: alles Gute, vergessen Sie Blockzeiten, Abwesenheitszettel und aehnlichen Papierkram, wenn's geht kommen Sie zur Arbeit, wenn nicht bleiben Sie zuhause - Ihre Gesundheit ist jetzt das Wichtigste. Und dann habe ich eine e-mail an alle Kollegen geschrieben, worauf ich sehr unterschiedliche Reaktionen bekam, unter anderem auch Erzaehlungen von Bekannten und Verwandten, die auch ... usw., also die ganze Palette von Schock bis Anteilnahme.

Gearbeitet habe ich im folgenden Rhythmus:
Woche 1 Mo-Fr voll gearbeitet
Woche 2 Mo-Di voll gearbeitet
Woche 2 Mi vormittags "frei", nachmittags Therapie
Woche 2 Do-Fr "frei"
Woche 3 Mo-Fr wie 1
Woche 4 Mo-Fr wie 2

Das hat sich sehr gut bewaehrt; der Kontakt mit meinem normalen Arbeitsumfeld hat fuer mich den Effekt gehabt, dass sich nicht alles nur um Hodkin und Therapie gedreht hat. Fuer mich war es immer sehr wichtig, mein Leben zu leben. Ich bin geschaeftlich fuer eine Woche nach Washington geflogen und just auf die Therapie wieder zurueckgekommen (natuerlich mit dem Arzt abgesprochen, zum Dank hat er eine Karte bekommen), ich bin am Wochenende in die Berge zum wandern gegangen, wir sind an Parties und zu Freunden gegangen (lieber am Wochenende vor als nach der Therapie), usw.

Die CTs waren sehr ermutigend, und ich hatte auch keine Probleme mit Nebenwirkungen der Chemo (ausser einmal mit entzuendetem Zahnfleisch, das aber mit dreimal Meridol wieder verschwand) - gegen Uebelkeit bekam ich Navoban, das fuer mich perfekt funktionierte. Weihnachten war so mittelpraechtig (Therapie am 24.12.1997), Sylvester im tiefverschneiten Nauders ( www.nauders.info ) in Oesterreich dafuer spitze. Nach Abschluss der Mindesttherapie (6 volle Zyklen) waren alle Knoten im Vergleich zum letzen CT weitergeschrumpft. Gut. Aber das heisst auch, wir wussten nicht, ob noch Potential fuer eine weitere Reduktion vorhanden war, oder ob jetzt schon das Stadium erreicht war, in dem die verbleibenden noch immer leicht vergroesserten Lymphknoten als "Restbefund inaktiv" akzeptiert werden sollten. Irgendwie haben wir natuerlich gehofft, dass jetzt alles vorbei sei; stattdessen faengt der Mist nochmal von vorne an, nochmal zwei Zyklen. Shit!

Da sind Gina und ich im Maerz 1998 erstmal fuer zwei Wochen auf die Seychellen (die Insel "La Digue" ist wirklich ein kleines Paradies - siehe La Digue ) in die Ferien. Tja und dann nochmals zwei volle Zyklen (zwei Monate) ABVD. Schade, gerade als die Haare sich wieder ein wenig erholt hatten, kam wieder eine Welle Chemie und hat gewuetet wie Sturm "Lothar" und auf meinem Kopf war alles wieder wie vorher: kurz, duenn, wenig.

Danach nochmals ein CT und ... keine Veraenderung. Wir haetten demnach schon nach 6 Zyklen abbrechen koennen, aber wir haetten natuerlich keine Sicherheit gehabt. Es war unsere gemeinsame Entscheidung und ich glaube, sie war richtig. Aufgrund des Krankheitstyps "nodulaere sklerose" war ein Restbefund, also immer noch leicht vergroesserte Lymphknoten zu erwarten gewesen - ich stelle mir das vor wie Narbengewebe. Zur definitiven Abklaerung haben wir ein Gallium-Szintigram gemacht: alles klar, keine aktiven Krebszellen mehr zu sehen. Im August 1998, also exakt ein Jahr nach der Diagnose, habe ich mich dann in Uebereinstimmung mit meinem Arzt fuer gesund erklaert. Anfangs alle 3 Monate, spaeter noch alle 6 Monate ging ich zu Dr. Dieterle zur Untersuchung und alle 6 (bzw. 12) Monate ein CT - bis jetzt alles clean.

Aber ich habe schon die unmoeglichsten Geschichten gelesen. Ein Mann hatte 1965 M.H., erfolgreich bekaempft, und 1987 nochmals erkrankt, wieder erfolgreich bekaempft! Das war kein Rueckfall, das war eine Neuerkrankung! Unglaublich, nicht? Anyway, ich habe nicht vor, den Rest meines Lebens in Angst und Schrecken zu leben. Ich weiss, dass es zu schaffen ist!

Oft werde ich gefragt, ob sich meine Einstellung zum Leben veraendert hat. Eigentlich sollte ich dann sagen: oh ja, ich ernaehre mich bewusster, ich freue mich wieder an kleinen Dingen, ich geniesse jeden Tag, blahblahblah. Aber jetzt mal ganz ehrlich: ich habe doch schon vorher gelebt! Ich werde doch jetzt nicht hingehen und sagen, dass ich alles falsch gemacht habe und mein Leben umkrempeln! Hey, es geht mir gut, ich gehe auch lieber nach Brasilien in die Ferien (siehe Barra Grande ) als nach Basel zur Arbeit! Wer glaubt, er koenne jetzt erst mal 10 oder 20 Jahre lang Tag und Nacht schuften und sein (Privat)leben vernachlaessigen, um dann die Fruechte seiner Arbeit geniessen zu koennen, der riskiert, von einem Auto ueberfahren zu werden, bevor es soweit ist. Aber fuer diese Einsicht habe ich keinen Hodgkin gebraucht.

Ich glaube nicht, dass ich (Jahrgang 1965) alt genug bin, um weise Ratschlaege zu erteilen, und Erfahrung ist etwas, was man selbst machen muss. Aber wenn jemand eine konkrete Frage hat, dann antworte ich gerne auf eine e-mail...

PS: Es gibt ja einige Beispiele beruehmter Spitzensportler, die nach Morbus Hodkin wieder ihre alte Topleistung gebracht haben, der beruehmteste ist wahrscheinlich der kanadische Eishockeyspieler Mario Lemieux. Auch Microsoft Mit-Gruender Paul Allen hatte Hodgkin. Es trifft also auch die "rich and famous".

Links

copyright by Ralph Halter - ralph@halteronline.ch